SAP UK Ltd. (SAP) vs. Diageo Great Britain Ltd. (Diageo)
20.07.2017
SAP Kunden vor schwierigen Zeiten – Was sich durch das Gerichtsurteil gegen Diageo in Großbritannien ändert.
Die meisten Kunden kennen die Aufforderung zur Lizenzplausibilisierung nur allzu gut. Microsoft hat in den vergangenen Jahren nahezu jeden Enterprise-Kunden und Kunden aus dem Segment kleinerer und mittlerer Unternehmen (SMB) in die Pflicht genommen, eine Prüfung der tatsächlich genutzten Software und ihres Einsatzes im Unternehmen durchzuführen. Nicht selten kommt eine Lücke in der Lizenzierung zum Vorschein, welche ungeplante Mehrkosten durch Nachkäufe zur Folge hat. Neben Microsoft sind auch andere Hersteller, wie Oracle und VMware, so vorgegangen.
Aufgrund des starken Partnernetzwerkes und des Wettbewerbes der Microsoft-Partner sehen sich die Kunden dabei nicht allein gelassen – im Gegenteil: Die Unterstützung bei Lizenzprüfungen (sowohl durch den Hersteller gefordert als auch eigeninitiiert) ist zu einem wichtigen Geschäftsfeld geworden. Wer ausreichend vorbereitet ist, hat durch die bekannten Audits kaum noch Gefahren zu befürchten. Dieses Jahr kam jedoch SAP – der weltweit viertgrößte Softwarehersteller – auf den Plan und sorgte für einen Paukenschlag.
Was man wissen sollte: Das Lizenzmodell des Herstellers mag auf den ersten Blick einfach erscheinen. Es gibt verschiedenartige komplexe Lizenzmetriken für die sog. Engines (Applikationspakete); darüber hinaus benötigt jeder Nutzer der Software in der Regel »nur« eine Named-User-Lizenz. Innerhalb des SAP-Ökosystems gibt es verschiedene Typen der Named-User-Lizenz, welche die Quantität unterschiedlicher Funktionen (sog. Transaktionen) regeln. Da die tatsächlich möglichen Transaktionen aber technisch nicht beschränkt sind, werden schnell unbemerkt mehr Funktionen genutzt, als die zugewiesene Named-User-Lizenz inkludiert.
Welche Stolpersteine gibt es? Häufig nutzen User die SAP-Systeme umfangreicher, als sie dürften. Im schlimmsten Falle werden diese von Usern genutzt, denen keine Lizenz zugewiesen wurde. Dies ist häufig zurückzuführen auf Unwissen über die Definition von »Nutzung« und insbesondere von »Indirekter Nutzung«. Im Audit-Fall kommt es schnell zu Nachlizenzierungsforderungen in Millionenhöhe – so geschehen bei der Firma Diageo (u. a. bekannt durch die Marken Guinness, Captain Morgan oder Smirnoff). Der Getränkehersteller aus Großbritannien wurde aufgrund von nicht lizenzierten indirekten Zugriffen auf die eingesetzte mySAP-Suite zu einer Nachzahlung in Höhe von 65 Millionen Pfund aufgefordert. Während über die Höhe noch Uneinigkeit herrscht, hat das britische Gericht »High Court of Justice for Technology« am 16. Februar 2017 sein medial beachtetes Urteil gesprochen und SAP Recht gegeben, dass der grundsätzliche Tatbestand einer falschen Nutzung der Software erfüllt ist.
Streitfall indirekte Nutzung: SAP wertet bereits einen lesenden Zugriff einer Dritthersteller-Software auf das SAP-System (konkret in der SAP-Datenbank) als indirekten Zugriff. Die User dieser Dritthersteller-Software müssen dementsprechend mit Named-User-Lizenzen ausgestattet werden, auch wenn sie nicht einmal eine SAP-Oberfläche nutzen, sondern nur einzelne Informationen aus der SAP-Datenbank abgreifen.
Im Falle von Diageo handelte es sich um Software von Salesforce, welche Verkaufsdaten zu Produkten aus SAP abgriff und den Kunden von Diageo über ein Drittsystem zur Verfügung stellte. Die von Diageo verwendete SAP-fremde Software greift über das SAP-Softwarepaket »SAP PI« auf die in mySAP ERP gespeicherten Daten zu, um mit diesen zu arbeiten. Von geringer Bedeutung für das Gericht war dabei, dass der Austausch über SAP PI erfolgte. Rechtlicher Anknüpfungspunkt war der erfolgte Datenaustausch zwischen SAP-Software und SAP-fremder Software, für welche Diageo nach Ansicht von SAP und dem Urteil vom britischen High Court nicht ausreichend erforderliche Lizenzen erworben hatte. Daraus wurde geschlussfolgert, dass die Benutzer der SAP-fremden Software »indirekte Nutzer« der SAP-Software sind.
Weshalb die geforderte Nachlizenzierung vergleichsweise hoch ist: Einerseits nutzten im Falle von Diageo nicht die Mitarbeiter des Unternehmens, sondern Kunden das Online-System. Da die Zahl der Nutzer kaum zu regulieren ist, führte dies zu einer sehr hohen Zahl an Zugriffen. Zum anderen erhöhte sich die Forderungssumme dadurch, dass SAP neben der nachträglichen Lizenzbeschaffung auch rückwirkend Software-Support einfordert. Da die Einführung der Software und damit auch die indirekte Nutzung im Jahr 2011 begann, sind neben den Lizenzen auch gleichzeitig etwa sechs Jahre Software-Support auf einen Schlag fällig.
Eine außergerichtliche Einigung kam in diesem Fall nicht zustande. Sowohl die vertragliche als auch die technische Analyse der vorhandenen Situation sollte mit einem Lizenzberater durchgeführt werden (nicht vor einem Gericht). Die Analyse hätte als Basis für eine wirtschaftliche Einigung dienen können. Für beide Seiten wäre dies eine gesichtswahrende Lösung ohne mediale Auswirkung gewesen.
Was das zur Folge hat: SAP sieht sich bekräftigt, weitere Kunden auf den Einsatz und die Verwendung von SAP-Software zu prüfen. Sollte es im Ergebnis eines Audits zu verschiedenen Ansichten des Kunden und SAP kommen, scheint SAP sich vorzubehalten, bei Uneinigkeit vor Gericht zu gehen. Eine vorherige eigenständige Prüfung eingesetzter Anwendungen, welche auf SAP-Daten zugreifen, ist dringend zu empfehlen. Die Verhandlungsposition von SAP ist zumindest in Großbritannien enorm gestärkt worden.
Nach deutschem Recht können die einzelnen SAP-Lizenzbestimmungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen qualifiziert werden und unterliegen folglich der AGB-Kontrolle. Die Linzenzklauseln könnten überraschend, mehrdeutig und folglich unwirksam sein. Dies kann aus einer Unvereinbarkeit der Klauseln mit dem Urheberrecht folgen, woraus sich eine unangemessene Benachteiligung der Nutzer und schließlich die Unwirksamkeit ergeben könnte. Das High-Court-Urteil hat jedoch keine direkte Auswirkung auf deutsche Unternehmen. Aufgrund der abweichenden gesetzlichen Vorgaben in Deutschland ist das Urteil nur zum Teil auf vergleichbar gelagerte Fälle übertragbar. Eine Einzelfall-Prüfung, ob der Einsatz der SAP-fremden Software im Einklang mit vereinbarten Lizenzbestimmungen der betreffenden SAP-Software steht, ist in diesem Zusammenhang unausweichlich.
Kartellrechtliche Vorgaben sind zusätzlich zu beachten: SAP-Lizenzbestimmungen, welche die indirekte Nutzung unter Lizenzpflicht stellen, können ein verbotenes Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens sein, da Konkurrenzprodukte und deren Anbieter anders behandelt werden. Es ist in derart gelagerten Fällen für Unternehmen unter Umständen nicht wirtschaftlich, neben der SAP-Software zusätzlich SAP-fremde Software, welche mit der SAP Software interagiert, einzusetzen. Es müssten zwei separate Lizenzen erworben werden: Zum einen SAP Lizenzen und zum anderen Lizenzen der SAP-fremden Software. Um »doppelte« Lizenzierung zu vermeiden, würden wirtschaftlich denkende Unternehmen ausschließlich auf SAP-eigene Software setzen. Ein Konkurrenzprodukt hätte somit keinen oder erheblich erschwerten Zugang zum Markt.